Die Lutherkirche war gut gefüllt, der Anlass war ein besonders erfreulicher. Der weit über die Südstadt hinaus bekannte (ehemalige) Pfarrer Hans Mörtter erhielt für sein langjähriges und vielfältiges soziales Engagement in Köln den Rheinlandtaler des Landschaftsverbandes Rheinland.
Mit großer Freude habe ich die Laudation auf den Preisträger halten dürfen.
Nachstehend finden Sie den kompletten Text meiner Rede:
Laudatio von Anne Henk-Hollstein Vorsitzende der Landschaftsversammlung Rheinland anlässlich der Verleihung des RHEINLANDTALERS IN DER KATEGORIE „GESELLSCAHFT“ an HANS MÖRTTER am Montag, den 18. September 2023, in der Lutherkirche in Köln
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Elster, lieber Ralph,
Kolleginnen und Kollegen aus der Landschaftsversammlung Rhein-land und aus dem Rat der Stadt Köln, verehrte Gemeindemitglieder, meine Damen und Herren, liebe Gäste. Und ganz besonders: sehr geehrter Herr Mörtter! Wir sind heute zusammengekommen, um einen Mann zu ehren, der hier, in der Lutherkirche in der Kölner Südstadt, viele Jahre zu Hause war und es heute immer noch ist. Der diese Kirche, ihre Gemeinde und auch sein Veedel in den letzten fast 4 Jahrzehnten geprägt hat wie kein anderer. Der sich auch nach seiner Entpflichtung als evangelischer Geistlicher weiterhin für die Menschen in seiner Gemeinde, seiner Südstadt und auch in der weiten Welt engagiert. Lieber Hans Mörtter! Die Presse und auch Ihre Weggefährten haben große und bemerkenswerte Worte für Sie gefunden. Worte, die ein Licht darauf werfen, welche Eindrücke Ihr jahrzehntelanges Wirken hinterlassen hat und immer noch hinterlässt. „Kölns soziales Gewissen“ titelte etwa die Kölnische Rundschau anlässlich Ihrer Entpflichtung vor einem Jahr. Der Artikel begann mit den Worten: „Eine Ikone nimmt Abschied …“ „Unseren Friedenspastor“ nannte Sie der mit Ihnen befreundete Kabarettist Wilfried Schmickler und stellte fest: „Die Welt braucht Spinner wie Dich“. Pfarrer Christoph Rollbühler von der Kölner Christuskirche bezeichne-te Sie einmal als „Schimanski unter den Pfarrern“. Die Älteren unter Ihnen wissen, wer und was damit gemeint ist. Zur Erklärung für die Jüngeren: Horst Schimanski, gespielt von dem großartigen und leider bereits verstorbenen Schauspieler Götz George (der 2010 ebenfalls mit dem Rheinlandtaler ausgezeichnet wurde), war in den 1980er-Jahren ein „Tatort“-Kommissar. Mit seiner zu dieser Zeit unkonventionellen Art und seiner saloppen Umgangssprache brachte er seine Kritiker auf die Palme, doch die Tatort-Fans und seine Fernseh-Wahlheimatstadt Duisburg liebten ihn. Auch wenn Sie, lieber Herr Mörtter, weder Cowboystiefel noch Schnäuzer tragen, sind die Parallelen zu dem Ruhrpott-Raubein Schimanski unübersehbar. Denn auch Sie haben, wenn Sie es für sinnvoll hielten, auf Konventio-nen gepfiffen. Und auch Sie waren den einfachen Menschen in Ihrer Gemeinde meist näher als den Kirchenoberen, vertraten stets die Meinung, dass die Kirche ihre Daseinsberechtigung verlöre, wenn sie nicht nah an den Menschen ist. Und Sie waren stets nah bei den Menschen. Und sind es heute noch immer. Als Sie 1987 Pfarrer der Gemeinde an der Lutherkirche wurden, wehte dort noch ein anderer Wind. Die Lutherkirche war damals nicht nah an den Menschen, war weit von ihnen weg. Das hatte Konsequenzen, die viele von uns auch von anderen Kir-chen kennen: Leere Kirchenbänke, die sich höchstens an den hohen kirchlichen Feiertagen füllen. Kein wirkliches Gemeindeleben. Jugendliche, die nach ihrer Konfirmation nicht mehr in der Kirche gesehen werden. Auch die Lutherkirche war meist leer. Die Kirchengemeinde dümpelte vor sich hin, war das Gegenteil von lebendig. Ihr Eindruck war der einer Festung. Doch das sollte sich bald ändern. Sie kamen damals aus Bonn. 1955 erblickten Sie dort das Licht der Welt. Ihr Vater war Metzgermeister, hatte einen eigenen Laden. Von ihm, so ist auf der Homepage der Luthergemeinde Köln zu lesen, haben Sie Ihre rheinische Frohnatur geerbt. Nach Ihrem Theologiestudium in Ihrer Geburtsstadt zogen Sie erst einmal in die große weite Welt. Sie gingen nach Kolumbien und arbeiteten als Pfarrer in der deutschsprachigen Auslandsgemeinde der Hauptstadt Bogota. Hier engagierten Sie sich schnell für die Ärmsten der Armen: für Straßenkinder. Als junger Pfarrer haben Sie dort Erfahrungen gemacht, die ganz si-cher Ihren Blick auf die sozialen Ungerechtigkeiten in der Welt ge-schärft haben. Die Hilfe für Straßenkinder ist ein Thema, dem Sie ein Leben lang verbunden geblieben sind. Und das am Anfang Ihres großen und vorbehaltlosen Engagements für Arme und sozial Benachteiligte stand. Nach dieser Zeit in Südamerika kamen Sie zunächst wieder nach Bonn. Sie wollten weiter als Pfarrer arbeiten. Doch Bonn war Ihnen zu klein, zu provinziell. Sie wollten weg. Gleichzeitig hing Ihr Herz aber am Rhein. Sie waren schon damals ein überzeugter Rheinländer, konnten sich ein Leben abseits des großen Stroms nicht vorstellen. So wurde es eben 1987 die Kölner Südstadt. Mitten in der großen Stadt und zugleich nah am Rheinufer. Aus dem gebürtigen Bonner wurde ein überzeugter Kölner. Hier wartete zudem eine große Aufgabe auf Sie: aus der verstaubten und wenig besuchten Lutherkirche einen lebendi-gen Ort der Begegnung zu machen. Sie waren jung, hatten viel Elan, Visionen und Ideen. Sie wollten aus der Lutherkirche wieder ein offenes Kirchenhaus machen, wollten das Gemeindeleben aufblühen lassen. Wir wissen heute: Es ist Ihnen gelungen! Aber zunächst war das gar nicht so einfach. Ihnen war schnell klar, dass Sie das alleine nicht schaffen konnten. Deshalb haben Sie sich Leute an die Seite geholt, die Ihre Vision einer lebendigen Kirche geteilt haben, haben sie in den Kirchenvorstand und in die Kirchengremien geholt. Gleichzeitig haben Sie die gewohnten Pfade verlassen, haben die Kir-che verweltlicht. Und Schluss gemacht mit der verstaubten Kirchen-sprache. Vielmehr haben Sie eine andere, neue und modernere Sprache ge-wählt, mit der Sie die Menschen erreichen konnten und die die Men-schen auch verstanden haben. Sie haben für Begegnungen gesorgt, haben improvisiert und ausprobiert. Sie haben Kunst und auch Politik in die Kirche gebracht. Viele Gemeindemitglieder waren von dem neuen Wind, der von nun an wehte, begeistert – manche aber auch überrascht, verblüfft oder gar irritiert. Vereinzelt warf man Ihnen vor, zu weltlich und auch zu politisch zu sein. Auch die Kirchenleitung hatte anfangs ihre Probleme mit dem jungen Pfarrer, der die Lutherkirche umkrempelte. Sie verbot Ihnen sogar eine zeitlang, Vikare auszubilden. Begründung: „Bei Ihnen gibt´s ja keine richtigen Gottesdienste“. Doch der Erfolg gab Ihnen recht. Die Kirche füllte sich zusehends und das Gemeindeleben wurde neu erweckt. In den folgenden Jahrzehnten haben Sie viele Aktivitäten und damit wieder Leben in die Kirche geholt: Kunstausstellungen und -aktionen, Konzerte, Bazare, Flohmärkte – und auch den Karneval. Und Sie haben die Kirche auch ins Veedel, zu den Menschen, getra-gen, in ihren Alltag gebracht. 1995 haben Sie den „Vringstreff“ mitbegründet, eine Begegnungsstät-te in der Südstadt für Menschen mit und ohne Wohnung. Hier gibt es Getränke und Speisen für wenig Geld, aber mit ganz viel Respekt, Empathie, Ohren und Herz. Angeboten werden Hilfe bei Behördengängen, medizinische Versor-gung, W-LAN und vieles mehr. Und das Projekt „Housing First“, das obdachlosen Menschen eine eigene Wohnung vermittelt – mit eigenem Mietvertrag und ohne Vorbedingungen. „In der Mache“ ist auch das Projekt „Sieben Sterne Hotel“, das Obdachlosen mit guten Möbeln eingerichtete Einzelzimmer mit eige-nen Duschen bieten soll. Auch bei diesem Projekt geht es, neben der konkreten Unterstützung, um den Respekt für Menschen, denen oftmals kein Respekt wider-fährt. Außerdem sind Sie Mitinitiator des 20-köpfigen „MenschenSinfonieOrchesters“, das seit über 20 Jahren Obdachlose und Nicht-Obdachlose sowie mittlerweile auch Menschen mit Behinderung, Suchtkranke und Geflüchtete – nicht nur musikalisch – miteinander vereint. Neben Ihren offiziellen Ämtern nutzen Sie auch immer wieder Ihr gutes und über Jahrzehnte gewachsenes Netzwerk, um Menschen in schwierigen Situationen zu helfen und deren Bedarfe sichtbar zu machen. So unterstützten Sie eine alleinerziehende Mutter eines im Rollstuhl sitzenden Kindes, damit diese nicht aus ihrer Wohnung ausziehen musste. Sie brachten Sponsoren und Handwerker zusammen, die am Haus einen Aufzug anbauten, um ihr den eh schon beschwerlichen und anders nicht mehr händelbaren Alltag zu erleichtern. Herr Mörtter, Sie sind ein Macher. Und Sie trauen sich was. Sie waren einer der ersten Pfarrer in Deutschland, der Homosexuelle kirchlich getraut hat. Sie haben viele Jahre als Notfallseelsorger Menschen in den größten Krisen ihres Lebens beigestanden. Sie fahren in Krisengebiete – wir hörten, Sie waren jüngst im Sudan – und packen selbst mit an. Sie sind zudem auch in der Flüchtlingshilfe aktiv. Und nach wie vor auch bei der Hilfe für Straßenkinder. Sie haben das Evangelium nicht nur in Worten, sondern auch in Taten gepredigt. Diese Aufzählung Ihrer kirchlichen, sozialen und sozialpolitischen Aktivitäten ist ganz sicher nicht vollständig. Sie sind ein derartiger sozialer Tausendsassa, dass ich fürchte, dass nur Sie selbst hier den Überblick bewahren können. Sehen Sie es mir deshalb bitte nach, dass dies nur ein kleiner Einblick in Ihr Wirken in der Südstadt sein konnte. Mit Ihrem kirchlichen und sozialen Engagement, Ihrer Empathie und Ihrem respektvollen Umgang mit den Benachteiligten unserer Gesellschaft sind Sie für viele Menschen ein Vorbild. Auch nach Ihrer Entpflichtung vor einem Jahr sind Sie für viele hier Wohnende ihr Südstadtpfarrer geblieben. Die Menschen wenden sich immer noch mit ihren Sorgen an Sie. Und Sie lassen diese Menschen nicht im Regen stehen. Denn Ihr Beruf ist für Sie auch jetzt noch eine Berufung. Lieber Herr Mörtter! Seit Ihrer Entpflichtung vor einem Jahr tragen Sie die Berufsbezeich-nung „Pfarrer i. R.“. „I. R.“ steht eigentlich für „im Ruhestand“. Doch das passt nicht zu Ihnen. Denn auch, wenn Sie Ihr Engagement seit Ihrer Entpflichtung vielleicht etwas entschleunigt haben, engagieren Sie sich weiterhin für Ihre Herzensprojekte. Weshalb die Superintendentin, Susanne Beuth, bei Ihrer Entpflichtung die These vertrat, dass „i. R.“ bei Ihnen nur „in Ruhestandsverweige-rung“ bedeuten könne. Bereits seit 1976 verleiht der Landschaftsverband Rheinland den Rheinlandtaler an Personen und Organisationen, die sich in besonde-rer Weise im Rheinland engagieren. Ursprünglich ein reiner Kulturpreis, wurde die Auszeichnung 2019 um die Kategorie „Gesellschaft“ erweitert. Mit dem Rheinlandtaler „Gesellschaft“ zeichnen wir hervorragendes Engagement für eine gleichberechtigte, inklusive Gesellschaft aus. Er ist mit einem Preisgeld von 1.000 Euro dotiert. Sie, lieber Herr Mörtter, haben bereits angekündigt, das Preisgeld für die Flüchtlingsarbeit zu verwenden. Ich wünsche Ihnen auch weiterhin viel Energie und gute Gesundheit bei der Umsetzung Ihrer noch zahlreichen, unvollendeten Projekte – für die Menschen, die unserer Unterstützung bedürfen, für den Ge-danken der Inklusion und der gelebten Gemeinschaft. Und so darf ich Ihnen nun unseren Rheinlandtaler als Ausdruck des Dankes für Ihr außergewöhnliches Engagement überreichen. Herzlichen Dank!